Historiographie und Geisteskultur Kaschmirs

Arbeitsstelle der
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Laufzeit: 11.08.2005-29.02.2020

Die Arbeitsstelle wird mit 1.3.2020 an der Philipps-Universität Marburg weitergeführt.




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Anonymus Casmiriensis (10.Jhd.): Mokṣopāya

Einführung

Der Mokṣopāya („Weg zur Befreiung“), Werk im Umfang von 30.000 Doppelversen eines kaschmirischen Anonymus aus der Mitte des 10. Jh.s, begründet auf der Basis philosophisch unikaler Ideen einen in der indischen Geistesgeschichte einzigartigen Welterklärungsentwurf, der ohne Beru­fung auf traditionelle Autoritäten entwickelt wurde. Vor Entdeckung und Nutzbarmachung (1994 ff) der kaschmirischen Rezen­sion, in der die ursprüngliche Werkfassung sich verbirgt, wurde dieses nach Form und Inhalt einzigartige philosophische Literatur­werk in Indien und Europa aus­schließ­lich in einer späten, durch mehrere Redaktions­schübe ten­den­ziös veränder­ten Vulgata-Rezension (‛Yo­ga­vā­siṣṭha’) rezi­piert. Durch strukturelle und begriffliche Modifizierungen wurde dieser Version der Anschein eines Offenbarungswerkes verliehen. Derart in altherge­brachte Mythen und Traditionen eingebettet, entfaltete das Yogavāsiṣṭha in Indien eine bis heute andauernde Wir­kungsgeschichte. Doch war es u.a. der autoritative Charakter von ‛Offenbarungen’, gegen den der Autor – als indischer ‛Frühaufklärer’ inso­fern erfolglos geblieben – sich mit Vehemenz ge­wandt hatte. Unkonventionelle Standpunkte wie dieser wur­den aus der pan-indi­schen Yogavāsiṣṭha-Rezeption – ebenso wie die menschliche Autorschaft des Werkes – von Entsager-Traditionen des Advaitavedānta (saṃnyāsin) sowie von Exponenten gläubiger Gottesfrömmigkeit (Rāma-Bhakti) gewollt verdrängt. Weltan­schaulich über sekundäre Mythisierung entsprechend umgear­beitet und adaptiert, verein­nahmten sie das Werk schließlich für eigene Traditionen. Die formale und geistige Gestalt des Mokṣopāya selbst wurde dadurch aber aus der indischen Wahr­neh­mung völlig ausgeblendet und geriet allmählich in Vergessenheit. Der Text ist in einem Sprachstil verfaßt, der je nach Anlaß zwi­schen höfisch-literarischem und philoso­phisch-wissenschaftlichem Sans­krit wech­selt. Aufgrund des Stils und der Neuschöp­fung narrativer, parabolisch an­gewandter Stoffe ist er als Literatur (kāvya) zu cha­rakterisieren, dem Inhalt nach als philosophi­sche Welterklärung, vom Anliegen her aber als ‛Soteriologie der Selbstbe­freiung’ aus dem Daseinswandel. Das Werk zeigt einen ‛erleuchtungs­didak­tisch’ strukturierten Aufbau, der einem sich graduell ver­tiefen­den Verständ­nishorizont des Schülers Rechnung trägt. Dieses unter den Sprach- und Texttrümmern des Yogavāsiṣṭha ver­schüttete Monument indischer Philoso­phie und Literatur soll nun zum ersten Mal in seinem Originalwortlaut aus den Handschriften der kaschmirischen Rezension wieder­gewonnen, und dabei ein unikaler philosophi­scher Kopf und geist­reicher Poet für die Geistesgeschichte geret­tet werden, der im 10. Jh. Raum- und Zeitvorstellungen als subjektiv und nur relativ zur eigenen Wahrnehmung bestimmbar definiert hat. Mit Hilfe einer historisch-kritischen Gesamtedition, die mittels des wiederhergestellten Wort­lauts auch die verlorengegangenen Ideen und sprachlichen Idio­synkrasien des Au­tors rekonstruiert, werden diese sich in ihren in­ne­ren Zu­sammen­hängen er­schlie­ßen, deuten und sodann in eine Universalgeschichte der philoso­phischen Ideen und der Literatur einordnen lassen. Darüber hinaus sind neue Erkenntnisse vor allem auch zu erwarten für: Linguistik (reiches und datierba­res Mate­rial zum regiona­len kaschmirischen Sanskrit, Wort­schatz, Se­man­tik, Wortbil­dung und Syntax), Phi­losophiege­schichte, Reli­gi­ons­so­ziologie (vita activa contra vita con­templa­tiva), Universalge­schichte (in­discher Erlösungsra­tio­na­lis­mus, Ansätze zu Aufklä­rungs­ideen), Literatur (stof­fliche Neuschöpfungen), Kultur- und Realienkun­de des mittelal­terlichen Kaschmir.

Bibliographie zum Mokṣopāya


 

 
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